In seinen Grundzügen ist Classroom- Management auf die Techniken der Klassenführung nach Jacob S. Kounin zurückzuführen und gilt als präventive Methode (vgl. Kounin 2006). Durch seine Untersuchungen ergaben sich für Kounin fünf komplexe Aspekte des Lehrerverhaltens, die sich positiv auf das Schülerverhalten auswirken:
- „Allgegenwärtigkeit und Überlappung; diese Dimensionen betreffen die Fähigkeit des Lehrers, den Schülern mitzuteilen, daß er über ihr Verhalten informiert sei, sowie seine Fähigkeit, bei zwei gleichzeitig auftretenden Problemen beiden simultan seine Aufmerksamkeit zuzuwenden.
- Reibungslosigkeit und Schwung; beide Parameter messen die Fähigkeit des Lehrers, den Unterrichtsablauf bei Übungen und an Übergangsstellen zu steuern.
- Gruppenmobilisierung und Rechenschaftsprinzip; diese Aspekte betreffen die Fähigkeit des Lehrers, in Übungen den Gruppen- Fokus zu wahren (Gegensatz: Völliges Aufgehen in der Beschäftigung mit einem einzelnen Schüler).
- Valenz und intellektuelle Herausforderung.
- Abwechslung und Herausforderung bei der Stillarbeit; diese Dimension bezieht sich auf die Programmierung von Lernaktivitäten mit Abwechslung und intellektuellem Herausforderungscharakter insbesondere im Rahmen von Stillarbeiten.“
(Kounin 2006, S. 148)
Kounin geht davon aus, dass die Beherrschung dieser Techniken der Klassenführung die Lehrkräfte dazu befähigt, möglichst störungsfrei ihre Lehrziele zu erreichen und dabei alle Schülerinnen und Schüler mit und ohne Unterstützungsbedarfen im Blick zu behalten. Denn „gerade die Beherrschung der Gruppenführung befähigt den Lehrer individuelle Unterschiede systematisch zu berücksichtigen und damit einzelnen Kindern zu helfen. In einem Klima der Arbeitsbereitschaft ohne störendes Fehlverhalten können verschiedene Schülergruppen mit verschiedenen Dingen beschäftigt sein, während der Lehrer frei ist, um nach Belieben einzelnen Schülern beizustehen.“ (ebd., S. 149)
Christoph Eichhorn erweitert für ein effektives Classroom- Management die Techniken der Klassenführung nach Kounin um folgende Aspekte (vgl. Eichhorn 2018):
- Guter Start als Grundlage
- Organisation des Klassenzimmers
- Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule
- Verfahrensabläufe
- Beziehungsarbeit
- Regeln und Konsequenzen.
Eichhorn geht davon aus, dass guter Unterricht sowohl auf einer guten Lehrer- Schüler- Beziehung als auch der Classroom- Management- Expertise des Lehrers basiert. (ebd., S. 12)
Weitere Konzeptionen (u.a. Helmke 2015) betonen im Zusammenhang mit einem effektiven Classroom-Management insbesondere die Herstellung von störungsfreien, lernförderlichen Situationen im Klassenzimmer durch die Installation verbindlicher Abmachungen und zu deren flüssiger Umsetzung notwendiger, explizit zu erlernender und zu übender Verhaltensmuster. Strategien zum Aufbau erwünschten und zum Abbau unerwünschten Schülerverhaltens zeigen eine hohe Effektstärke, die Wirksamkeit verhaltenspsychologischer Maßnahmen für die Reduzierung von Störungen wird nicht zuletzt durch die Hattie-Studie belegt (Hattie, 2013, S. 125).
In der Literatur gibt es verschiedene Checklisten, mit denen Lehrkräfte verschiedene Aspekte des Classroom- Managements für sich überprüfen können, z. B. Bornebusch, Engmann und Schleske 2019, S. 52/53 oder Hartke, Blumenthal, Carnein, Vrban 2016, S. 131-136. Man findet hier Prinzipien eines effektiven Classroom-Managements differenziert nach proaktiven und reaktiven Maßnahmen in Anlehnung an die international einflussreichste Forschergruppe auf dem Gebiet des Classroom-Managements (Emmer & Evertson, 2009, 2013; Evertson & Weinstein, 2006):
Proaktive Maßnahme | Reaktive Maßnahme |
Vorbereitung des Klassenraums Vermittlung und Anwendung von Verhaltensregeln und Routinen Konsequenzen bei erwünschtem und unerwünschtem Verhalten Gestaltung eines positiven Lern- und Klassenklimas Beobachtungen der Schüleraktivitäten und prozessbegleitende Diagnostik Vorbereitung des Unterrichts Schülern Verantwortlichkeiten übertragen Klarheit des Unterrichts Einsatz kooperativer Lernformen | Reaktion auf unangemessenes Schülerverhalten Strategien für potenzielle Problemsituationen |
Die Verantwortung für die Installation, Durchführung und Reflektion genannter Prozesse und Prinzipien im einzelnen Unterrichtsfach liegt primär bei jeder einzelnen Klassenleitung. Absprachen dazu und Beratungsmöglichkeiten sind im Rahmen der schulinternen sonderpädagogischen Beratung durch Förderschullehrkräfte möglich und wünschenswert. Ggf. sind dabei innerhalb der Schule geltende und durch Schule begründete Rahmenbedingungen zu berücksichtigen (räumliche und sächliche Ausstattung, Qualifikation und Weiterbildung, regelmäßige Teambesprechungen,…). Optimierte Effekte können zudem auftreten bei vergleichbarer Handhabung von etablierten Prozessen des Classroom Managements innerhalb von Klassenstufen bzw. Jahrgängen sowie bei vergleichbarer Handhabung besprochener und etablierter Absprachen innerhalb der Lehrpersonen einer Klasse.
- Rechtliche Rahmung
Der Bildungsauftrag der Schule (§ 2, NSchG) umfasst auch den Erziehungsauftrag gemäß der dem Schulgesetz zugrunde liegenden Gesetze und Verfassungen.
Der sich daraus abzuleitende Erwerb personaler und sozialer Kompetenzen mit dem Ziel, soziale Verantwortung zu übernehmen und Gemeinschaft zu gestalten, ist im Qualitätsbereich 1 des Orientierungsrahmens Schulqualität verankert (Qualitätsbereich 1, Ergebnisse und Wirkungen, Qualitätsmerkmal 1.1, Teilmerkmal 1.1.3).
Der Orientierungsrahmen Schulqualität in Niedersachsen (2014) enthält vielfältige übergeordnete Hin- und Verweise von verschiedenen Qualitätsbereichen zu einer effektiven Unterrichtsgestaltung (Qualitätsmerkmal 1.3, Akzeptanz, oder auch Qualitätsmerkmal 2.1, Kompetenzorientierung – Kognitive Aktivierung).
Explizit findet sich das Classroom- Management im Qualitätsbereich 2 („Lehren und Lernen“) unter dem Qualitätsmerkmal 2.2 „Unterrichtsführung“ wieder (S. 8/9):
„Die Information über Ziele, Abläufe und Erwartungen sowie eine klare inhaltliche, methodische und organisatorische Struktur der Unterrichtsstunde bzw. des unterrichtsergänzenden Angebots helfen den Schülerinnen und Schülern, die zur Verfügung stehende Zeit optimal für Lernaktivitäten zu nutzen.
Eine störungspräventive Unterrichtsführung ist auf die Vereinbarung und Einhaltung von Regeln ausgerichtet, führt geordnete Abläufe sowie Routinen ein und achtet auf die Bereitstellung und Einbeziehung angemessener Arbeitsmaterialien und geeigneter Medienangebote.
Lernen ist ein aktiver, kreativer und konstruktiver Prozess, bei dem emotionale und motivationale Faktoren eine zentrale Rolle spielen. Daher wirken sowohl ein unterstützendes schülerorientiertes Sozialklima als auch die Lernumgebung auf die Leistungsbereitschaft und das Leistungsverhalten, auf die Einstellung zu Schule und Unterricht, auf das Sozial-verhalten, die Interessenentwicklung und letztendlich auf den Lernerfolg ein. Die Art der Gestaltung der Beziehungen sowie die bewusste Wahrnehmung des Erziehungsauftrags sind Grundlage nicht nur für den Aufbau fachlicher und fachübergreifender Kompetenzen, sondern insbesondere auch für die Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung.“
Teilmerkmal: Strukturierung (2.2.1)
Die Lehr- und Lernprozesse, Ziele und Inhalte sind transparent und klar strukturiert.
Teilmerkmal: Störungsprävention (2.2.2)
Geordnete Abläufe und Routinen, vereinbarte Regeln und Verfahrensweisen sowie angemessen aufbereitete Arbeitsmaterialien ermöglichen die optimale Nutzung der Lernzeit
Teilmerkmal: Lernklima (2.2.3)
Ein von wechselseitiger Wertschätzung, Respekt und Unterstützung geprägter Umgang sowie gemeinschaftsbildende Maßnahmen bewirken ein lernförderliches Klima.
Das Fortbildungscurriculum zur inklusiven Schule verweist auf das europäische Kompetenzprofil für Pädagogen in inklusiven Bildungsprozessen. Es beinhaltet vier grundlegende Werte mit je zwei Kompetenzbereichen, die als Basis für inklusive Einstellungen, Fähigkeiten und Wissen zu verstehen sind. Die Unterstützung aller Lernenden bzw. die Unterstützung des fachlichen und sozialen Lernens aller wird dabei als ein grundlegender Wert angeführt (Fortbildungscurriculum zur inklusiven Schule, MK Niedersachsen 2020, S. 9/10). Demnach leiten Lehrende die Schülerinnen und Schüler zu Selbstachtung und Anerkennung der Anderen an, setzen Konzepte zur Förderung der sozialen Entwicklung ein, fördern das Miteinander der Lerngemeinschaft, erarbeiten mit den Schülerinnen und Schülern Klassenregeln, etablieren ein Feedbacksystem und kennen demnach die Dimensionen des Classroom-Managements und gestalten sie zielorientiert.
„Der Unterricht in heterogenen Lerngruppen verlangt Kompetenzen der Lehrkraft im Bereich des Classroom-Managements.“ (Fortbildungscurriculum zur inklusiven Schule, MK Niedersachsen 2020, S. 14)
- Prozessqualität
Die Ergebnisse der AG in Form einer Handreichung o.ä. gelangen an alle beteiligten Schulen. Schulen werden außerdem zur Anwendung und Auswertung von Checklisten eingeladen. Neben den genannten Checklisten für Lehrkräfte gibt es die Möglichkeit, eine Einschätzung der Kompetenzen des Classroom-Managements von Lehrkräften durch Schülerinnen unmittelbar online vornehmen zu lassen, um so Klarheit über pädagogisches Handeln zu erlangen und dieses weiter zu entwickeln („Linzer Diagnosebogen zu Klassenführung“).
Ein weiteres Instrument zur fundierten Bestandsaufnahme, wie Klassenführung ein praktiziertes Classroom-Management wahrgenommen wird, findet man auch z.B. unter iqesonline (link s. Literaturliste).
Möglichkeiten zur Beratung und Fortbildung werden beschrieben.
- Ergebnisqualität
Auf Grundlage der Checklisten wird wiederkehrend eine Evaluation durchgeführt. Die Ergebnisse werden im Sinne einer Fortschreibung im Konzept aufgenommen.
- Beteiligte
- Lehrkräfte
- Schulsozialarbeiter
- Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
- Schulbegleitungen
- Schülerinnen und Schüler
- Erziehungsberechtigte
Literatur
- Bornebusch, Engmann & Schleske (2019): Praxishelfer Inklusion. Förderschwerpunkt Emotional- soziale Entwicklung. Schwierige Situationen im Unterrichtsalltag meistern. Cornelsen Verlag
- Eichhorn, Ch. (2018): Classroom- Management. Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht gestalten. Klett-Cotta
- Emmer & Evertson (2009): Classroom Management for elementary teachers. NewJersey: Pearson Education
- Emmer & Evertson (2013): Classroom Management for middle and high school teachers. New Jersey: Pearson Education
- Evertson & Weinstein (2006): Handbook of Classroom Management. Mahwah, NJ
- Hartke, Blumenthal, Carnein, Vrban (2016): Schwierige Schüler. 64 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten. Persen
- Hattie, J.: Lernen sichtbar machen. Von W. Beywl und K. Zierer überarb. dt. Ausgabe von „Visible Learning“. Hohengehren: Schneider, 2013.
- Helmke, A. (2003): Unterrichtsqualität. Erfassen, bewerten, verbessern. Kallmeyer
- Helmke, A. und T. (2015): Wie wirksam ist gute Klassenführung? In: Pädagogik Leben 02-2015
- IQES https://www.iqesonline.net/schulentwicklung/evaluationsinstrumente-fuer-schulleitende-und-evaluationsteams/unterricht-und-lernen/ Klassenführung und Klassenklima, Zugriff am 11.11.2020
- Kounin, J.S. (2006): Techniken der Klassenführung. Standardwerke aus Psychologie und Pädagogik. Reprints herausgegeben von D.H. Rost. Waxmann
- Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung: https://ldk.aau.at/ Zugriff am 11.11.2020
- MK Niedersachsen (2014): Orientierungsrahmen Schulqualität in Niedersachsen
- MK Niedersachsen (2018): Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) in der Fassung vom 3. März 1998 (Nds. GVBl. S. 137), zuletzt geändert durch Artikel 15 des Gesetzes vom 16. Mai 2018 (Nds. GVBl. S. 66)
- MK Niedersachsen: Fortbildungscurriculum zur inklusiven Schule, 2020